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Gabriele

Du warst die Jugendliebe meines Mannes. Er sprach gern über dich und wenn er an die Zeit mit dir zurückdachte, empfand er immer noch eine tiefe, freundschaftliche Verbundenheit zu dir. Ihr pflegtet keinen weiteren Kontakt, da die Lebensumstände zu unterschiedlich waren und auch die Wohnorte lagen zu weit voneinander entfernt.

Da du beruflich in unserer Nähe zu tun hattest, beschlossen wir gemeinsam einen schönen Abend zu verleben, damit ich dich endlich persönlich kennenlernen konnte. Ich verstand meinen Mann. Deine angenehme Persönlichkeit faszinierte mich ebenso. Deine gesamte Erscheinung schien zu strahlen und zu leuchten wie eine große warme Sommersonne. Wir mochten uns auf Anhieb. Du erzähltest begeisternd und erfrischend aus deinem Leben, ich konnte meinen Blick nicht von dir abwenden. Ich fühlte mich an diesem Abend frei, gelöst, geliebt und gesehen in deiner Gegenwart. Wir genossen diesen Abend und versprachen, uns bald wiederzusehen.

Die nächsten Wochen erlebte ich mich sehr energiegeladen. Du hattest so viel Lebensfreude in dir und diese auch in mir geweckt. Ich erkannte mich selbst nicht wieder. Meine Freundinnen konnten mit meinem neuen Zustand überhaupt nichts anfangen und kritisierten dieses Treffen mit dir. Ich distanzierte mich von ihnen und schmiedete Pläne mit meiner neu gewonnenen Einstellung zum Leben. Neben meinen Kindern, Hund und Haushalt besuchte ich Seminare, die mich in meiner positiven Denkweise unterstützten. Mir fiel auf, wie sehr ich mich seelisch vernachlässigt hatte und ich freute mich über meine eigene Entwicklung, die ich jetzt zu leben begann.

Ich dachte oft an dich. Durch deine liebevolle Ausstrahlung und bezaubernde Art war die Liebe zu mir selbst entfacht worden.

Ein Jahr verging, als wir im Frühling miteinander telefonierten. Du erzähltest uns, dass bei dir Brustkrebs diagnostiziert wurde. Wir erschraken zu tiefst, aber du bliebst zuversichtlich. Du wolltest deinen Lebensgefährten bei einem Projekt unterstützen und würdest dich dann zu einem späteren Zeitpunkt um deine Erkrankung kümmern. Durch deine Unbesorgtheit beruhigten wir uns, da wir wussten, dass du schon einmal in jungen Jahren an Krebs erkrankt warst und, dass diese Krankheit einen positiven Verlauf genommen hatte.

Sechs Monate später vereinbarten wir einen Besuch bei dir zu Hause. Ein ganzes Wochenende wollten wir beisammen sein, schönes Essen genießen und viel erzählen. Jürgen und ich freuten uns riesig auf dich. Als Gastgeschenk kaufte ich dir ein Lederarmband mit drei Nieten, an denen konnten verzierte Druckknöpfe, sogenannte Chunks befestigt werden. Jeder Chunk war ein kleines Kunstobjekt für sich, vorwiegend aus Naturmaterialien, Halbedelsteinen, oder aus Messing gefertigt mit einer individuellen Bedeutung für seinen Träger. Zu deinem Lederband entschied ich mich, zwei Schmuckknöpfe zu wählen, die ich sorgfältig aussuchte. Eine Niete ließ ich frei, sodass du dir bei Gefallen meines Geschenkes, selbst noch einen schönen Chunk deiner Wahl aussuchen konntest.

Meine kleine Aufmerksamkeit gefiel dir sehr. Mit zwei deiner Freundinnen und deinem erwachsenen Sohn verlebten wir einen wundervollen Abend. Allerdings blieb es mir nicht verborgen, dass deine Kräfte zusehends nachließen und sich eine ungewohnte Zerbrechlichkeit bei dir zeigte.

Dein Wesen strahlte immer noch, aber es lag ein leichter, kaum wahrnehmbarer Schleier über allem, so schien es mir. Wir beschlossen, früher als geplant, den Abend zu beenden. Nach dem Frühstück am nächsten Morgen, bemerkte ich, dass du nur einen kleinen Apfel mühsam zu dir nehmen konntest, die Nacht hatte dir wenig Erholung geschenkt. Aus diesem Grund entschieden wir uns schweren Herzens früher als geplant nach Hause zu fahren. Ich umarmte dich und du sprachst leise in mein Ohr: „Du weißt und fühlst, wie es mir geht, stimmt‘s?“ Ich nickte traurig und konnte meine Tränen kaum verbergen.

Weihnachten kam und wir verbrachten es mit der Familie in Stuttgart. Da dein Wohnort auf dem Weg lag, wollten wir dich spontan besuchen, aber wir konnten dich telefonisch nicht erreichen. Später zu Hause bekamen wir eine Kurzmitteilung von dir, du seist im Krankenhaus. Es ging dir schlecht und das Sprechen fiel dir schwer. Der Krebs hatte sich in deinem ganzen Körper ausgebreitet und du hättest eine sehr schlechte Prognose bekommen. Ich wusste, dass du sterben würdest. Ich wusste es. Wir konnten nur noch weinen, um dich, um uns.

Dann erinnerte ich mich an das Lederband, mein Geschenk an dich. Eine Niete war noch nicht mit einem Schmuckstein besetzt und ich entschied, den dritten Chunk für dich auszusuchen. Ich überlegte sehr lang. Welches Motiv auf dem Knopf könnte dir in deiner jetzigen Situation Trost spenden, dir eine kleine Freude bereiten, ein Lächeln auf dein Gesicht zaubern?

Ich wählte einen Chunk mit einem Schmetterling darauf. Sein Symbol bedeutete Schönheit und das Anbrechen eines neuen Lebenszeitabschnittes. Wahrhaftig, es schien ein neuer Zeitabschnitt angebrochen zu sein. Zudem sahen die Griechen den Schmetterling als Sinnbild und Verkörperung der Seele. Damit wurde der Schmetterling zum Sinnbild der Unsterblichkeit und der Transformation der Seele. Bestimmte Schmetterlingsarten wurden verehrt, weil man in ihnen die Seele der Verstorbenen sah. Das gefiel mir.

Dann verschickte ich diese kleine Kostbarkeit, ein letztes Geschenk an dich, ein Gruß von mir, in der Hoffnung, dass du es noch empfängst.

Drei Wochen später bekamen wir eine Textnachricht von deinem Sohn, mit der Mitteilung, dass du am 29. Februar verstorben seist.

Er lud uns im März zu deiner Beisetzung und gleichzeitig zu deinem fünfzigsten Geburtstag ein. Wir waren sehr traurig und doch erleichtert, dass du nicht so lange leiden musstest und ich wünschte mir sehr, dass du mein Päckchen noch erhalten hattest.



Tage später kam ich vom Einkaufen zurück, da erblickte ich vor unserer Haustür einen Schmetterling, der nah vor meinem Gesicht hin und her flog. In diesem Moment musste ich an dich denken. Wolltest du mir einen kleinen Gruß aus dem Jenseits senden, um mich aufzumuntern? Sogleich verwarf ich diesen Gedanken und zweifelte an meinem Gefühl. Ich dachte bei mir, erst wenn ich noch einen Schmetterling sehe, dann glaube ich an diese Botschaft.

Ich brachte meine Einkäufe in die Wohnung, stellte mich eine Weile nachdenklich auf den Balkon und konnte es kaum glauben. Erneut flatterte ein Schmetterling sehr nah, eine kleine Ewigkeit dauernd, vor mir hin und her.

Das konnte nur ein Zufall sein, erst wenn ich noch einen dritten Schmetterling sehe, dann wäre ich überzeugt, entschied ich innerlich.

Plötzlich und unerwartet vernahm ich eine sehr entschlossene Stimme an meinem Ohr, die sagte: „Ich kann dir noch so viele Schmetterlinge schicken, vertraue endlich deiner Eingebung!“ Ich musste richtig schmunzeln, ich hatte diese Worte an mich klar und deutlich vernommen. Auf einmal fiel mir mein Schmuckstück ein, mit dem Symbol des Schmetterlings und ich entschloss mich, dir und mir zu vertrauen.



Dann kam der Tag deiner Beerdigung, ein schöner, sonniger Tag mit vielen weißen Lilien, deinen Lieblingsblumen. Die Kirche war geschmückt mit Fotoaufnahmen von besonderen Momenten aus deinem Leben. Deine Familie hielt eine Rede voller Liebe, es lagen Bonbons auf den Stühlen und wir wurden mit einem schönen Bild von dir beschenkt.

Im Anschluss feierten wir in einem Saal deinen fünfzigsten Geburtstag mit vielen Torten und einem Geburtstagslied für dich. Du warst bei Jedem von uns ganz nah und hattest sicher viel Freude an diesem schönen Fest. Deine Mutter bestätigte mir später am Abend, dass du mein Geschenk noch lächelnd empfangen konntest. Ich erzählte ihr zum Trost meine Geschichte mit dem Schmetterling und ihr Gesicht bekam weiche Züge.

Heute weiß ich, ich muss nicht traurig sein, weil du vor uns gegangen bist. Es wird weitergehen, nur auf einer anderen Ebene des Seins. Du hast dein irdisches Kleid abgelegt, weil es zu beschwerlich wurde für dich. Dein Plan und deine menschlichen Erfahrungen als unsterbliche Seele hatten sich für dieses Leben erfüllt. Ich kann jeden Tag mit dir sprechen, du bist mir näher als zuvor. Uns trennt nur ein Vorhang, eine andere Frequenzebene voneinander. Ich freue mich auf ein Wiedersehen mit dir und wir werden uns wiedersehen, das weiß ich sicher.

Ich danke dir für deine Liebe, deine Offenheit, deine Fröhlichkeit, deine Sonne im Herzen und dass wir uns begegnet sind.